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Rekommunalisierung im Kontext des europäischen und internationalen Rechts

Verflechtungen zwischen der Kommunalwirtschaft und der völkerrechtlichen und unionalen Rechtsebene

A. Hintergrund
Die Energiewirtschaft wurde unter dem Einfluss des EU-Rechts liberalisiert (Entflechtung = Unbundling = §§ 6 EnWG ff.). Das Ziel war eine für Wirtschaft und Verbraucher preisgünstige, sichere und umweltverträgliche Energieversorgung (VBW 2015, S. 20). Die Gründe dafür waren die finanzielle Überforderung des Staates sowie eine mangelnde Effizienz wegen fehlender Wettbewerbsanreize (Traupel 2014 (nicht öffentliche Präsentation)). Nach der Priavtisierungswelle und der Finanzkrise wurden die Risiken für die Stabilität der Daseinsvorsorge offensichtlich.

B. Begriff und Formen der Rekommunalisierung
Rückführung von ehemals privatisierten Aufgaben oder Einrichtungen in die Hand der Kommune (Lichter2014, S. 11). Dies ist teilweise durch Enttäuschung mit der Privatisierung verbunden. Die Übergabe der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben in Hände Privater hat nicht den erwarteten Mehrwert gebracht. Insbesondere sind die Preise für die Kunden höher geworden. Die versprochene Qualitätssteigerung ist ebenfalls ausgeblieben. Anderseits wollen die Kommunen auch ihre durch andere Bereiche der Daseinsvorsorge strapazierten Haushalte retten und gewinnbringende Geschäfte wieder an sich ziehen. Dies gilt nicht nur für das Energiebereich sondern auch für Abfallwirtschaft.

1. Formen der Rekommunalisierung
Es werden folgende Arten der Rekommunalisierung unterschieden:
  • materielle (vermögensrechtliche) Rekommunalisierung: Erwerb von Anteilen an vormals kommunalen, privatisierten Unternehmen bzw Übernahme von Grundstücken, auf denen die Aufgaben ausgeführt werden;
  • formelle (organisatorische) Rekommunalisierung: Umwandlung von kommunalen Unternehmen in einer Privatrechtsform in öffentlich-rechtliche Form (z.B. Anstalt des öffentlichen Rechts);
  • funktionelle (operative) Rekommunalisierung: Verzicht auf Übertragung der Aufgabenwahrnehmung an Private und Beauftragung interner Stellen bzw. eigener Gesellschaften (In-House-Vergabe).

2. Gründe für die Rekommunalisierung
Schmidt (DÖV 2014, 358) nennt folgende Gründe (im Unterschied zu den Anlässen):
  • Durchsetzung besonderer Sozialstandards
  • Preissenkungen der Leistungserbringung
  • starker politischer Einfluss durch Kontroll-, Weisungs-, Stimm- und Rückholrechte
  • vermehrte kommunale Gestaltungsmöglichkeiten
  • Flucht aus dem privaten Kartellrecht in das öffentlich-rechtliche Gebührenrecht (Kommunalaufsichtsbehörde statt der Kontrolle des Bundeskartellamtes)
  • Schaffung effizienter kommunaler Unternehmensstrukturen
  • Nutzung des steuerlichen Querverbundes
  • Verzicht auf aufwändige Vergabeverfahren
  • verminderte Transaktionskosten sollen gesteigerte finanzielle Gewinne verursachen

Bauer (DÖV 2012, 335 = Bauer/Büchner/Hajasch, Potsdam 2012, S. 23) ergänzt diesen Katalog um weitere Motive:
  • erwachtes Selbstbewusstsein der Kommunen,
  • Wiederbelebung der kommunalen Selbstverwaltungsidee,
  • Einbindung der Bürger in das Gemeinwesen
  • Gemeinwohlorientierung ("citizen value" statt "shareholder value"),
  • Rückgewinnung kommunaler Steuerungsoptionen und Einflussmöglichkeiten auf die Aufgabenwahrnehmung,
  • Aufbrechung monopolartiger privater Leistungserbringung
  • Schaffung effizienter kommunaler Firmenstrukturen mit Rückkopplung auf die Qualität der Aufgabenwahrnehmung
  • Erhaltung von Arbeitsplätzen
  • Wahrung von Umwelt und Sozialstandards
  • Kostensenkung für Bürger
  • Erschließung von Einnahmequellen zur Querfinanzierung defizitärer Segmente kommunaler Aufgabenerfüllung.

Libbe (Präsentation von 2012):
  • regionales Marktversagen
  • niedrigere Kosten im operativen Geschäft
  • Stärkung des regionalen Arbeitsmarktes
  • Stärkung der lokalen wirtschaft durch Vermeidung von Lohndumping
  • Kritik der Bevölkerung an Privatisierung
  • Rückgewinnung von politischem Einfluss
  • relative Bürgernähe
  • Qualität und Sicherung der Lestungserbringung

Ferner zeigte sich, dass die Renditeorientierung in der Daseinsvorsorge nicht zielführend ist. Sie hat zur Absenkung von Umwelt- und Versorgungsstandards geführt, da die Investitionen oft aus Kostengründen aufgegeben wurden. Auch für Eingestellte bieten die privaten schlechtere Arbeitsbedingungen als öffentliche Unternehmen (Traupel 2014 (nicht öffentliche Präsentation)).

In jedem Fall der Rekommunalisierung spielen verschiedene Gründe unterschiedliche Rolle.


3. Position privater Unternehmen
Als Gegenargument für die Private Leistungserbringung werden genannt (vbw, 2015, S. 4)
  • monopolartige öffentliche Strukturen werden aufgebrochen
  • größere Effizienz und damit günstige Leistung
  • Steuerkraft und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes steigen
  • externes Know-how kann genutzt werden
  • personelle, administrative und finanzielle Entlastung der Kommune
  • Förderung des Mittelstandes (und damit des lokalen Arbeitsmarktes)
  • es finden private Investitionen statt
  • betriebliche Risiken werden auf Private übertragen
  • Vorteile der öffentlich-privaten Partnerschaft nutzen.

4. Auswertung
Allerdings dies bedeutet nicht, dass die Gründe, weswegen die Rekommunalisierung stattfinden soll, sich im nachhinein in der Wirklichkeit bestätigt haben. So werden z.B. höhere Rendite durch höhere Gebühren erzielt, was zuletzt zu Lasten der Einwohner geht (Röhl 2015, S. 12). Auch auf dem Arbeitsmarkt sind keine spürbaren und günstige Effekte zu verzeichnen. Die Zahl der Beschäftigten hat nicht verhältnismäßig zugenommen (Lichter 2014, S. 38). Es wurde noch bewiesen, dass kommunale Energieversorger sehr selten die niedrigsten Strompreise anbieten ((Lichter 2014, S. 34). Auch höhere Rendite und damit Quersubventionierung nicht immer sicher sind, da Betrieb von Stromverteilungsnetzen ökonomisch riskant ist (Lichter 2014, S. 27).


C. Rekommunalisierung im Bereich "Energie" (Thüringen)
Trotz der Bedenken geht durch ganz Deutschland eine Rekommunalisierungswelle durch.
  • Zahl öffentlicher Unternehmen in der Energieversorgung (Strom und Wärme) von ca. 1100 (2004) auf 1451 (2011) gestiegen.
  • Umsatz öffentlicher Unternehmen in der Elektrizitätswirtschaft von 37 Mrd € (2004) auf 127,22 Mrd € (2011) gewachsen (Lichter 2014, S. 13-14).

In Thüringen wurde im Mai 2013 die Thüringer Energie (vorher Tochter der E.ON) rekommunalisiert. Es wird Gründung von neuen Stadtwerken vollzogen oder überlegt.


D. Rekommunalisierung und EuR
Zu fragen ist nun, auf welche Einschränkungen treffen die Kommunen bei Rekommunalisierung. Unten werden zwei Aspekte angesprochen:
Drei Bereiche sind hier relevant:

1. Wettbewerbsrecht und Kartellrecht
Die Kommunen und kommunale Einrichtungen haben bessere Chancen (einfacher Zugang zu Krediten, da Insolvenzrisiko gering). Sie können auch zwischen Gebühren und Preisen wählen (die unterliegen nicht der kartellrechtlichen Kontrolle ("Flucht in Gebühren")). Ferner dürfen sie auch horizontal gebündelt werden, da sog. "Unbundling" (Entflechtung, §§ 6 EnWG ff.) nur bei den größeren Verteilernetzbetreibern mit über 100.000 Kunden anzuwenden. Insgesamt ist die öffentliche Betätigung auf dem Markt wettbewerbsverzerrend. Damit hat die EU viele Sektoren liberalisiert (Post, Telekommunikation, Energie). Daher sind dort - auf dem eigentlichen Zuständigkeitsfeld des Staates bzw. substaatlicher Einrichtungen - Private aktiv. Die Wiederbegründung öffentlicher Monopole ist in europarechtlich bereits liberalisierten Sektoren nicht mehr erlaubt. Folglich könne die Mitgliedstaaten nur noch nicht liberalisierte Sektoren auch ohne Wettbewerb organisieren (EuGH vom 11.7.2006 (FENIN), ECLI:EU:C:2006:453). Solange also bestimmte Bereiche nicht für die Privaten geöffnet wurden, kann ein öffentliches Monopol vorhanden sein (Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten (Art. 345 AEUV). Die Mitgliedstaaten verfügen daher nach wie vor über einen Ermessensspielraum, wie sie D Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse definieren, organisieren und finanzieren wollen (DAWI-Mitteilung, Rn. 37).
Wenn aber der Markt geöffnet wurde, darf er nur uner dem Vorbehalt wieder verschlossen werden, dass:
  • Rechtfertigungsgründe nach Art. 52 AEUV vorliegen
  • es sich um DAWI handelt, die sich im Organisationsbereich der MS befinden.
Weitere Aspekte sh. BKartA 2014

2. Beihilferechtliche Stolpersteine bei der Rekommunalisierung
(so zutreffend: Soltesz, Gleiss Lutz)
Bezugnehmend auf die Formen der Rekommunalisierung (sh. oben) kann das Beihilferecht die Rekommunalisierung folgend beeinflußen.

a. Materielle Rekommunalisierung
Materielle Rekommunalisierung ist beihilfeneutral, wenn sie zu Marktpreisen erfolgt. Dagegen kann als Beihilfe betrachtet werden, wenn zu viel bezahlt wird (Beihilfe für Veräußerer). Ggf. kann auch eine Beihilfe für Unternehmen betrachtet werden, wenn zu niedriger Preis gezahlt wird und damit ein gerinegere Refinanzierungsaufwand auf dem Markt erforderlich ist (Traupel 2014, S. 10 (nicht öffentliche Präsentation)).
Der Beihilfenrechtsverstoß kann darin liegen, dass der Berliner Senat den privaten Investoren (RWE und Veolia, ehemals Vivendi) 1999 eine Gewinngarantie gegeben hat.

b. Operative Rekommunalisierung (Markteintritt)
Zu prüfen ist, inwieweit die Ausstattung der neu zu gründenden Gesellschaft als Beihilfe anzusehen ist. Grundsätzlich ist dies zu bejahen. GGf. können die Rechtfertigungsgründe nach der De-Minimis-VO und DAWI-Freistellungsbeschlüsse eingreifen.

c. Tätigkeit auf dem Markt
Allgemeine Beihilferegelungen sind zu beachten, aber ggf. Rechtfertigung über De-Minimis-VO und DAWI-Freistellungsbeschlüsse.


Vorgaben des Beihilferechts für Rekommunalisierungen
DAWI-Unternehmen bei der Beihilfegewährung privilegiert (Art. 106 Abs. 2 AEUV)
Wie weit reicht aber Begriff EU-DAWI im Vergleich zu national-rechtlich geprägtem Begriff der Daseinsvorsorge
erfasst auch neue Formen der Energiewirtschaft (Digitalisierung der Energie, Bürgerwindparks mit kommunaler Beteiligung?)

3. Vergaberecht
insb. In-House-Vergabe vor dem Hintergrund § 46 EnWG)
Anwendbarkeit des allgemeinen Vergaberechts auf Konzessionsvergaben nach § 46 EnWG
Ziele des EnWG nach § 1 EnWG sind auch bei In-House-Vergabe zu beachten


E. Rekommunalisierung und CETA
CETA-Text in KOM(2016) 444 final
Anwendungsbereich von CETA liegt vor, wenn es sich um:
  1. Maßnahme einer Vertragspartei handelt (erfasst auch die Handlungen auf der lokalen und regionalen Ebene (Art. 8.4. Abs. 1 CETA), KrajewskiKynast2014, S. 36),
  2. die eine Liberalisierungsregelung verletzt (Liberalisierung erfasst: Marktzugang, diskriminierungsfreie Behandlung (Inländerbehandlung + Meistbegünstigung) und Investitionsschutz (darunter Enteignung), also durch Beschlüsse und Entscheidungen (darunter auch Subventionen)
  3. nicht vom Anwendungsbereich ausgeschlossen durch
    • sachlichen Ausschluss gem. Art. 8.2. Abs. 2 lit. c) (Maßnahmen in Ausübung hoheitlicher Gewalt durchgeführte Tätigkeiten)
    • Vorbehalte nach Art.8.15 Abs. 1 a) iv) CETA ("Die Artikel 8.4 bis 8.8 gelten nicht für bestehende nichtkonforme Maßnahmen, die von einer Vertragspartei aufrechterhalten werden, und zwar auf lokaler Ebene")
    • durch sektorale Vorbehalte nach Annex II (insb. public services) - gem. Art. 8.15 Abs. 2 (Die Artikel 8.4 bis 8.8 gelten nicht für von einer Vertragspartei eingeführte oder aufrechterhaltene Maßnahmen in Bezug auf einen Sektor, einen Teilsektor oder eine Tätigkeit gemäß ihrer dem Anhang II beigefügten Liste.),
    • Ausschluss für Subventionen - Art. 8.15. Abs. 5 lit b) CETA (Die Artikel 8.4, 8.6, 8.7 und 8.8 gelten nicht für von einer Vertragspartei gewährte Subventionen oder öffentliche Unterstützung im Zusammenhang mit dem Dienstleistungshandel).

Folge einer unzulässigen Maßnahme ist die Schadensersatzpflicht der Vertragspartei von CETA, der die Maßnahme zuzurechnen ist. Die Aufhebung der Maßnahme kann nicht gefordert werden (Art. 8.39).

1. Folge für Rekommunalisierung
Annex I:
Weitere Folge des Sperrklinkenmechanismus (Ratchet clause): eine vorgenommene Liberalisierung einer im Anhang I aufgeführten Maßnahme grundsätzlich nicht mehr zurückgenommen werden kann. Würde also ein bestehendes Monopol für öffentliche Dienstleistungen in Annex I aufgeführt werden, dürfte es beibehalten werden, auch wenn es gegen Marktzugangsverpflichtungen verstößt. Wird das Monopol im Zuge einer staatlichen Liberalisierungspolitik anschließend jedoch aufgehoben, kann es später nicht wieder eingeführt werden, obwohl es in Annex I aufgeführt ist (KrajewskiKynast2014, S. 34). (...) Es zeigt sich somit, dass sich der Sperrklinkenmechanismus negativ auf die staatliche Autonomie zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen auswirken kann. Im Rahmen der jüngsten Reformen im Bereich öffentlicher Dienstleistungen kam es in einigen EU- Mitgliedstaaten zu Renationalisierungen oder Rekommunalisierungen, mit denen jedenfalls faktisch Liberalisierungen rückgängig gemacht wurden.104 Derartige Maßnahmen könnten durch einen Sperrklinkenmechanismus grundsätzlich verhindert werden. Daher entfaltet dieser insbesondere bei Reformen, die zu weniger Wettbewerb führen sollen, eine beschränkende Wirkung (KrajewskiKynast2014, S. 35).

Annex II
"Anhang II erfasst auch zukünftige Maßnahmen. Der Sperrklinkenmechanismus gilt in diesem Fall nicht. Um sicherzustellen, dass die Erbringungs- und Organisationsautonomie für öffentliche Dienstleistungen nicht durch Liberalisierungsverpflichtungen des TTIP eingeschränkt wird, müssten diese im Anhang II aufgeführt werden." (KrajewskiKynast2014, S. 35). Eine entsprechende Ausnahme in Anhang II des CETA hat Deutschland für den Bereich der Abwasserbeseitigung festgelegt. Demnach behält sich Deutschland das Recht vor, jede Maßnahme, die sich auf die Bestimmung, Begründung, Ausdehnung oder Tätigkeit von Monopolen oder ausschließlichen Dienstleistungserbringern, die Abwasserentsorgungsleistungen erbringen, zu erlassen oder beizubehalten. Aber für Energie wurde ein solcher Vorbehalt nicht erklärt. Damit ist dieser Bereich der Liberalisierung unterordnet und kann ggf. nicht mehr rekommunalisiert werden. Des Weiteren ist offen, ob staatliche Maßnahmen zum Umweltschutz, zur verbesserten Energieeffizienz oder zur Förderung Erneuerbarer Energien ein Handels- oder Investitionshemmnis darstellen. In CETA fehlt hierzu eine entsprechende Klarstellung. Auch für zukünftige Entwicklungen wie Smart Grids, also intelligente Stromnetze, die sämtliche Akteure auf dem Strommarkt durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung, Netzmanagement und Verbrauch in ein Gesamtsystem integrieren, werden keine Vorbehalte formuliert. Folglich unterliegen kommunale Energie- und IT-Dienstleistungen nach CETA demnach vollumfänglich den Liberalisierungsverpflichtungen (http://koeln.dkp-nrw.net/images/2016/pdf/kps4.pdf S. 2)
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